Frühkindliche Traumata

Traumatische Erfahrungen, v.a. wenn sie aus der frühen Kindheit (Schwangerschaft, Geburt, erste Lebensjahre) stammen, können tiefe Spuren in Menschen hinterlassen, die jedoch oft nicht bewusst sind, da die meisten nur sehr wenige bewusste Erinnerungen an diese vorsprachliche Zeit haben. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese unverarbeiteten frühkindlichen traumatischen Erfahrungen in unserem Körpergedächtnis gespeichert sind und weiterwirken, manchmal in Form unbewusster Verhaltens- und Beziehungsmuster, die das Leben schwer machen können. Sehr oft können sich solch unverarbeitete und unbewusste traumatischen Erfahrungen auf der Ebene des Körpers und der Psyche mit Symptomen wie Kopfschmerzen, starker innerer Unruhe, Ängste, Depressionen, Suchtverhalten, Erschöpfung, bis hin zu Tumorerkrankungen und anderen schweren Krankheiten.

Ohne sichere Bindung erleben Säuglinge Todesangst

Wir wissen heute, dass die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem mit der Geburt noch lange nicht abgeschlossen ist. Ein Embryo im Mutterleib und ein kleiner Säugling ist völlig abhängig und schutzlos und nimmt sämtliche Reize ungefiltert aus seiner Umgebung auf. In den ersten Jahren erlebt das Baby regelrechte Todesangst, wenn die Eltern grob sind, nicht auf dessen Bedürfnisse eingehen oder es für kurze oder längere Zeit von der Mutter getrennt ist. Der Grund dafür liegt darin, dass der Säugling oder das Baby erst noch eine Bindung mit der Mutter aufbauen/erfahren lernen muss, was einige Jahre dauert. Zu wissen, dass die Mutter nach einer Trennung immer noch „irgendwo“ da ist und zu vertrauen, dass sie wieder zurückkommt, ist ab Geburt nicht einfach gegeben, sondern muss sich erst durch Zeit und die entsprechenden positive Erfahrungen herausbilden. Ein Baby „sollte“ idealerweise die Erfahrung machen können, dass wenn es körperliche Schmerzen hat, es Hunger oder Angst empfindet bzw. sich nach Kontakt, nach der liebevollen Stimme der Mutter (oder des Vaters) und nach Körperkontakt sehnt, es wahrgenommen, gespiegelt und getröstet wird und sich danach wieder beruhigen kann.

Die unverarbeiteten Traumata der Eltern

Wenn Eltern jedoch selber traumatisiert waren und nur bedingt auf die vielfältigen Bedürfnisse ihres Kindes eingehen konnten oder aber auch, wenn es zu Komplikationen oder längeren Trennungen in den allerersten Lebensjahren kam (schwierige Geburt, Frühgeburten im Brutkasten, Operationen in jungen Jahren, Aufwachsen bei verschiedenen Pflegepersonen etc.) sind Körper und Seele (wir sprechen im Somatic Experiencing auch oft vom autonomen Nervensystem) des Kindes im Grunde genommen ständig in Alarmbereitschaft und in einem Zustand chronischer Überreizung und Überforderung.

Auf der Suche nach Bindung und Kontakt

Nicht selten entwickeln solche Babys/Kleinkinder dann aus der Not eine Tugend – einen sechsten Sinn für die Bedürfnisse ihrer Eltern, sind vielleicht gar besonders „lieb“ oder genügsam, um nicht negativ aufzufallen und um nur ja nicht den Kontakt mit den Eltern/der Mutter zu verlieren. Im Erwachsenenalter führt eine solche Überlebensstrategie, wenn sie einseitig bleibt, dann oft dazu, dass die Betroffenen fleissige und willkommene ArbeitnehmerInnen werden, die alles für den Betrieb, die Familie oder (wenn sie, was häufig der Fall ist, im Sozial- bzw. Gesundheitsbereich tätig sind) ihre Schutzbefohlenen tun, wobei sie oft wenig auf ihre Grenzen achten (können) und darauf, was sie selber brauchen würden, damit es ihnen gut ginge.

Frühkindliche Traumata erkennen

Das besonders schwierige an solch frühkindlichen Traumata liegt darin, dass diese in der Mehrzahl der Fälle nicht bewusst sind und deswegen der Zusammenhang zu den aktuell erlebten Schwierigkeiten lange nicht erkannt wird. Zudem ist es so, dass die erlebte Todesangst des Säuglings oder Kleinkindes, das wir einmal waren, so absolut bedrohlich für uns ist, dass wir sie unterdrücken und abspalten und sie sich, wenn überhaupt, nur in gewissen kurzen Momenten oder hinter Beschwerden, Krankheiten und …. zeigen. Kommen dann noch Familiengeheimnisse und Tabus hinzu, ist es noch schwieriger, zu den Wurzeln von chronischem Stress und Leid vorzudringen. Ist einem empathischen Wesen jedoch einmal bewusst geworden, wie sehr das Leben der allermeisten Menschen durch von unverarbeiteten Traumatisierungen geprägt wird, die nicht nur zu Krankheiten und Beschwerden führen, sondern auch zu Zerstörung und Krieg, dann ist der erste und wesentlichste Schritt zur Heilung getan.

Somatic Experiencing und Global High Intensity Activation (GHIA)

Mit der körperorientierten Traumarbeit Somatic Experiencing (SE) können solch frühkindlichen Traumata bewusstwerden. Wenn wir die Ursachen unserer chronischen Überforderung, Ängstlichkeit oder inneren Blockaden etc. erst einmal kennen, und uns nicht weiter dafür verurteilen, können wir Verständnis und Mitgefühl für unsere Situation entwickeln und beginnen, uns für diejenigen Qualitäten und Erfahrungen, die wir in den frühesten Lebensjahren so schmerzlich vermisst haben, immer mehr zu öffnen. Da das vegetative Nervensystem von Menschen mit frühkindlichen Traumata durchwegs stärker aktiviert ist, als bei anderen Menschen – wir bezeichnen dies im SE mit Global High Intensity Activation (GHIA) – dürfen lernen, ganz fein und deutlich zwischen Aktivität und Ruhe zu unterscheiden und intensiven/zusätzlichen Stress möglichst zu vermeiden. Es geht darum, innerlich auszuhalten, wenn (bildlich gesprochen) das Leben gerade etwas ruhiger dahinplätschert, sprich sie sich innerlich ein klein wenig ruhiger fühlen, als sonst. Diese ruhigen Momente ganz bewusst auszukosten, zu würdigen und zu ehren, weil solche Erfahrungen für diese Menschen und für ihr Nervensystem ganz und gar nicht selbstverständlich sind.