Gesunder Selbstwert

Selbstwert hat viel mit Trauma und Heilung zu tun. Besonders frühkindliche schmerzhafte Erfahrungen sind Gründe für einen latent niedrigen und geschwächten Selbstwert. Tatsächlich ist es so, dass Menschen mit frühen Traumata sehr oft innerlich hin- und herschwanken zwischen Grössenphantasien – dem Gefühl, für alles und jeden verantwortlich und wichtig zu sein und die Bedürfnisse anderer erfüllen zu müssen/können – und seinem Gegenteil: Dem Gefühl oder der Überzeugung, im Grunde genommen unwert und für niemanden wichtig zu sein und im Leben ständig zu kurz zu kommen. Diese beiden polaren Gefühlszustände und Seinsweisen gehören in Wirklichkeit zusammen. Sie sind die beiden Seiten einer einzigen Medaille und gehören zu dem frühen Erleben eines Babys oder Kleinkindes, das seine Mutter mit seiner Liebe und seinen Bedürfnissen nicht (oder nur ungenügend) erreichen konnte und das von der Mutter (oder dem Vater) nicht in seinem So-Sein und seiner Bedürftigkeit gesehen, gehört und wertgeschätzt wurde. Es handelt sich also um sehr frühe Erfahrungen von Ablehnung, Mangel und Spaltung. Das Baby muss einen Teil seiner Bedürfnisse und seiner Ganzheit abspalten, weil der erlebte Schmerz und die Todesangst zu übermächtig und zu bedrohlich ist. Stattdessen wird das kleine Kind oder Baby unbewusst alles dafür tun, um den Kontakt mit seiner Mutter oder anderen wichtigen Bezugspersonen und mit der Welt irgendwie aufrecht erhalten zu können. Dies geht so weit, dass die eigenen Bedürfnisse auf ein absolutes Minimum heruntergeschraubt werden, um nur ja nicht den lebenswichtigen Kontakt mit der Mutter zu verlieren.

Vom Überleben zu einem wertvollen Leben

Solche Überlebensmuster und -strategien (sich anzupassen und die eigenen Bedürfnisse aufzugeben) sind in den meisten Fällen unbewusst. Was sie gemeinsam haben ist, dass es in späteren Beziehungen eher um Macht/Ohnmacht, Kontrolle, Mangel, Überforderung und Enttäuschung geht, als um Lebendigkeit, Veränderung, liebevollem und konstruktiven Austausch, Erfüllung und Freude. Die eigenen lebendigen Impulse, die Bedürfnisse nach liebevoller Nähe und gesunde Autonomiebestrebungen werden geopfert zugunsten von (vermeintlicher) Sicherheit, Kontakt und Nähe. Wer jedoch einen Teil seiner selbst opfern musste und nach wie vor opfert, um nicht verlassen zu werden, ist in sich nicht ganz und fühlt sich deshalb auch nicht in seiner Individualität und Ganzheit liebenswert und wertvoll.

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Albert Einstein

Ganzheitliches Erleben – lebendiger Selbstwert

Der Schlüssel zur Heilung liegt hier, wie immer, in dir selbst. Mit Traumatherapie und vor allem mit einem absoluten Wunsch nach Wahrhaftigkeit und Ganzheit, wirst du die abgespaltenen und unterdrückten Anteile von dir Schritt für Schritt wieder integrieren und bewusst machen. Es ist immer (!) die Wahrheit, die heilt. Die Realität war und ist so, wie du sie damals erlebt hast bzw. aktuell (noch) erlebst. Dies mag dir gefallen oder nicht. Es ändert jedoch nichts an deinem Erleben – es ist lediglich eine Bewertung, die noch auf dein Erleben oben draufkommt. Dein Selbstwert wird jedoch gesunden und sich zum Positiven wandeln können, wenn du immer mehr ja zu dir und deinem ganzen Erleben sagst und schmerzhafte Empfindungen annimmst: Ja, da gibt es einen Teil in dir, der sich absolut hilflos und abhängig fühlt! Ja, da sind Momente, in denen du dich, wie als Baby, nach einer liebevollen, Geborgenheit spendenden und nährenden Mutter sehnst! Ja, du möchtest mit deiner einzigartigen Individualität und dem, was dich ausmacht, gesehen und gehört werden! Und ja, du bist inzwischen erwachsen und alleine für dich und dein Erleben verantwortlich.

Deine Ganzheit umarmen

Wenn du also möchtest, dass sich dein Selbstwert in heilsamer Weise verändert, geht die innere Arbeit dahin, dir deine tiefsten Bedürfnisse und Grenzen bewusst zu machen und wahrzunehmen, wenn etwas im Aussen oder in deinem Innern dich “triggert” oder verunsichert und dich gleichzeitig selber nicht zu verlassen, sondern deine Ängste, Enttäuschung, Trauer, Wut oder andere Gefühle, so schwierig sie gerade für dich sein mögen, ganzheitlich zu erleben und auszudrücken. Das Leben ist überraschend und alles ist in ständiger Veränderung, was gerade für Menschen, die frühkindliche Traumata erlebt haben, bedrohlich ist. Doch Heilung ist jederzeit möglich und ein latent niedriger und instabiler Selbstwert muss nicht dauerhaft so bleiben. Er kann gesunden und sich zum Positiven wandeln, kann reicher, nuancierter und realitätsnäher werden, wenn du weniger auf Rettung hoffst und dafür deinen Schmerz und deine Lebendigkeit bewusst annimmst, wertschätzt und in die Ganzheit deines Ichs integrierst.

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